Die fünfte Woche der Speyersafari – laut und bunt

Eigentlich begann diese Woche sehr beschaulich: wir besuchten den Judenhof und erkundeten die unterschiedlichen Räume der Anlage, Synagoge, Frauenschul und Mikwe und entdeckten die Möglichkeiten, eigene Spuren und Geschichten in Speckstein zu verewigen. Die Steine und das Schleifpapier hatten die meisten Kinder den Rest der Woche immer dabei, um sie in Pausen oder auch unterwegs weiter zu bearbeiten. Für Dienstag hatten wir eine besondere Überraschung vorbereitet: das Historische Museum hatte uns die Genehmigung erteilt, ein Kreidespray-Graffitti an der Mauer des Verwaltungsgebäudes anzubringen, das bis zum nächsten Regen bleiben sollte. Wir streiften vorher durch die Stadt und entdeckten typische „Schmierereien“, anhand derer wir über Verantwortung und die mangelnde Kreativität sprachen. Eine Botschaft und Freude für die Betrachter wurden zu unserem Ziel für diesen Vormittag. Die Kinder entwarfen unterschiedliche Ideen zuerst auf Papier und alle berieten sich gemeinsam. Über das Motiv der Sternschnuppe wurde dann die Botschaft schnell klar: Wir dürfen euch nicht schnuppe sein! Mit der Leiter und den Kreidespraydosen entstand ein beeindruckendes Gemeinschaftswerk, auf das alle sehr stolz waren. Am nächsten Tag besuchte uns der Stadtführer Frank Seidel in kaiserlichem Gewand und berichtete aus dem Leben der Salier, die den Dom erbaut haben. Besonders ging er darauf ein, dass Konrad II. weder lesen noch schreiben konnte und auf die Hilfe seiner sehr gebildeten Kaiserin Gisela angewiesen war. Dass sein Schwert ein prima Abstandshalter sei, fanden alle lustig. Die Statuen der Kaiser luden dazu ein, auch hier unsere Spuren deutlich zu hinterlassen. Vorsichtig befestigten die Kinder rote Pappnasen mit Gummiband an den steinernen Köpfen und befestigten mit Malerkrepp Papierbögen daran mit der Aufschrift: Wir wollen nicht auch zu Clowns werden! Lasst uns wieder lernen! Natürlich kamen wir schnell ins Gespräch mit begeisterten Passanten, die sich über so viel kreatives Engagement freuten. Als ein Junge seine Oma fragte, ob man so etwas denn überhaupt dürfe, antwortete sie ihm, es gebe Zeiten, in denen man so etwas machen müsse!
Am Donnerstag gab es ein ganz klassisches Atelier auf der Maximilianstraße. Die Stadtkulisse in Acryl auf Leinwand aus zehn verschiedenen Kinderblicken wurde selbst zu einer Sehens-Würdigkeit und erregte großes Interesse und viel Beifall.
Als dann der Anruf kam, der uns mitteilte, dass die Wand, an der wir unser schönes Graffiti gesprüht hatten, denkmalgeschützt sei, waren wir froh, dass wir mit den Kaisern schon fertig waren… Selbstverständlich erklärten wir uns sofort dazu bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Nach Rücksprache mit den Eltern beschlossen wir, alles am Freitag  wieder gemeinsam zu entfernen. Wir hatten ja keinesfalls vor, irgendwem Schwierigkeiten zu bereiten (Entschuldigung!) Da dieses Missverständnis sogar den Mitarbeitern des Historischen Museums leid tat, halfen sie uns mit einem langen Gartenschlauch und einigen Reinigungsgeräten, aber die Spritzpistolen und mitgebrachten Schrubber der Kinder blieben unübertroffen. Auch Susanne Lorenz griff engagiert zur Bürste. Da sie eigentlich Aquarelltechniken zeigen wollte, nutzte sie ganz spontan die Effekte der Pigmente mit dem Wasser auf der Wand und erschuf ganz flüchtige Momente für uns. Danke, Susanne! Leider mussten wir bald feststellen, dass die Farbe nicht ganz verschwand. Mal schauen, wie wir das wieder in Ordnung bringen…
Jedenfalls war für die Kinder klar: wir halten zusammen! Nach dieser aufregenden Woche fiel der Abschied besonders schwer, vor allem, weil das Ende der Ferien schon in greifbarer Ferne ist und kein Kind weiß, was in einer Woche zu erwarten ist! 
Dora Dinse

die letzte woche der speyersafari 

kleine interpretationshilfe

Natürlich hat sich das Projekt während der sechs Wochen stetig weiterentwickelt – viele Eltern und Kinder hatten schon von Freunden oder aus der Zeitung davon erfahren, was bisher geschah… 

Und während wir malerisch (im wahrsten Sinne des Wortes) im Domgarten die historische Kulisse genossen, verdichtete sich die gegenwärtige Bildungskrise weiter. Mit jedem weiteren Tag wurde offensichtlicher, an welcher Stelle der Prioritäten die Situation unserer  Kinder angesiedelt ist. Während gebannt auf die steigenden Corona-Fall-Zahlen durch Tourismus, Massenproduktion von Billigfleisch und Parties geblickt wurde, wurde offensichtlich, dass das Ende der Ferien und somit der Beginn des Schuljahres für alle Verantwortlichen völlig überraschend gekommen zu sein schien.

Klar haben sich die Kinder darüber unterhalten, ob sie schon einen Stundenplan hätten oder überhaupt wüssten, ob und wieviel Unterricht stattfinden sollte und unter welchen Sicherheitsvorkehrungen. Sieben Tage vor Schulbeginn ohne Nachricht, sechs, fünf, vier… Keine Perspektive.

Das konnten wir nicht ignorieren und so war klar, dass auch die zehn Kinder der sechsten Woche der Speyersafari auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen wollten. Da wir schon in der vorherigen Woche (wenn auch so nicht beabsichtigt) sehr viel Aufmerksamkeit mit einem Graffiti-Kunstwerk erregt hatten, wünschte sich auch diese Gruppe ein paar Farbsprühdosen.

Um keinen Unmut zu erzeugen, bereiteten die Kinder dieses Abenteuer sehr gewissenhaft vor: große Stoffbahnen sollten gestaltet werden, die man einfach wieder entfernen konnte. Schnell kristallisierten sich zwei wichtige Botschaften heraus: zum einen wollten sie sich bedanken für diesen großartigen Sommer, für die Begeisterung der Speyerer, für den Ausflug mit Karin Germeyer-Kihm auf den Spuren Hans Purrmanns, dafür, ein Teil dieser Stadt zu sein – ganz selbstverständlich.

Zum anderen sollten die Menschen anfangen, darüber nachzudenken, dass der Preis dieser Pokerrunde um Lockerungen und Wirtschaftsinteressen die Gegenwart und Zukunft der Kinder ist. „Bratwurst, Bratwurst über alles“ sollte ironisch gelesen werden (wie auch sonst?), nachdem die Corona-Hotspots in der Fleischindustrie toleriert und gleichzeitig Bildungsangebote gestrichen wurden. 

Die Kinder der Speyersafari wissen genau: „wir sind wichtig“ und für ihre Bildung zu sorgen ist Aufgabe aller. Die positiven Signale auf unseren Streifzügen geben Hoffnung, dass die Interessen der Kinder endlich ernst genommen werden – zumindest so ernst wie Fußball und Bratwurst!